JÖRG WERNER
Interview mit Jörg Werner, Head of Sales bei der Molinari Rail Systems GmbH (heute 2019); lernte und arbeitete im VEB Waggonbau Dessau
Kim Kamenik: Herr Werner, könnten Sie uns bitte Ihren Werdegang im Waggonbau schildern?
Jörg Werner: Ich hab 1981 hier im Unternehmen angefangen zu lernen, habe den Beruf eines Maschinen und Anlagenmonteurs gelernt und hab hier eine wirklich hervorragende Waggonbauer-Ausbildung erlangt und während der Zeit der Lehre als auch danach wirklich ein ganz, ganz buntes Wissen in den verschiedensten Abteilungen, durch die verschiedensten Prozesse, die wir hier im Unternehmen hatten, erlernt und sie auch angewendet.
Kim Kamenik: Und wie sah ihr beruflicher Werdegang nach der Wende aus?
Jörg Werner: Mein beruflicher Werdegang nach der Wende war dadurch geprägt, dass wir uns natürlich mit völlig neuen Produkten von einem Tag auf den anderen beschäftigen mussten. Nämlich nicht mehr Kühlwagen zu produzieren, was eigentlich das Kerngeschäft des früheren Waggonbau-Standortes hier war, sondern ich zum Beispiel in die Straßenbahnfertigung gewechselt bin und komplett umstellen musste, auch in neue Werkstoffe, in völlig neue Technologien und davon geprägt und gezehrt habe, letztendlich, was ich früher in meiner Lehre auch gelernt habe, und das war eins der prägendstes Momente. Nach meiner Straßenbahnzeit haben wir Ende 1994 begonnen, hier einen Schienenbus zu bauen. Auch dort wurde ich mit in dieses Team geholt, den Schienenbus auf die Beine zu stellen und das hat genau bis 1995 gehalten. Und dann ging es eigentlich zum 100-jährigen Geburtstag des Waggonbau-Standortes hier in Dessau eigentlich von einem Tag auf den anderen mit der Meldung: „Der Standort komplett soll geschlossen werden“ zu Ende und wir machten uns natürlich riesen Sorgen, was nun werden soll.
Kim Kamenik: Sie schilderten ja gerade diese Umbruchszeit vom VEB Waggonbau Dessau zur Waggonbau Dessau GmbH bis hin zur Fahrzeugtechnik. Wie verlief das bei Ihnen? Hatten Sie Angst arbeitslos zu werden, nicht in die Fahrzeugtechnik übernommen zu werden oder wie war das Gefühl für Sie persönlich?
Jörg Werner: Natürlich hatte ich Angst, dass es hier von einem Tag auf den anderen nicht mehr weitergeht. Wir hängen ja und hingen ja hier mehr am Unternehmen dran. Ich bin hier in den Waggonbau-Kindergarten gegangen. Ich bin hier während meiner schulischen Zeit – ich bin hier in Dessau-Nord groß geworden mit dem polytechnischen Unterricht, mit den Patenbrigaden – immer mit dem Standort in Verbindung geblieben und natürlich hatte ich Angst, dass es von einem Tag auf den anderen zu Ende ist und wir uns hier völlig umorientieren müssen, vielleicht sogar wegziehen müssen aus der Stadt, hab aber dann davon gehört, dass man sich bei einem neu zu gründenden Unternehmen, der Fahrzeugtechnik Dessau, bewerben kann, was ich dann letztendlich auch getan haben und wirklich sehr froh war, dass innerhalb kürzester Zeit dort die Bewerbung angenommen wurde und es zum Einstellungsgespräch kam und das war für mich eine riesen Erleichterung; auch wenn es natürlich ein völlig neuer Schritt war, plötzlich Unternehmer zu sein, weil die Zeit es einfach mit sich brachte, wer die Fahrzeugtechnik will, der ist Gründungsmitglied einer GmbH. Ich hab dann mein privates Kapital, was ich aus dem Waggonbau als Abfindung bekommen habe, hier ins Unternehmen reingebracht, habe ein Teil des Stammkapitals mitgebildet und war dann plötzlich Unternehmer im eigenen Unternehmen, was natürlich voll motiviert war und auch eine ganz, ganz tolle Zeit war und bis 2008 auch hier ein riesen Boom mit sich brachte.
Und ich war mega, mega stolz, einer von ungefähr 150 Mitarbeitern zu sein, die genau diesen Schritt geschafft haben; nämlich nicht zuhause bleiben zu müssen, weg zu ziehen und sich völlig neu orientieren zu müssen, sondern hier am Standort weitermachen zu dürfen.
Kim Kamenik: Sie haben ja gerade beschrieben, dass es bis 2008 zu einem großen Boom kam und danach ist es ja irgendwie eingebrochen, die Produktion, und es kam zum Teil zu Insolvenzfällen. Momentan ist die Lage des Unternehmens wieder sehr positiv. Wie erklären Sie sich das, auch diesen Wandel?
Jörg Werner: Dabei würde ich sehr gern nochmal auf die Zeit der Fahrzeugtechnik zurückkommen. Ja bis 2008, bis dann die Deutsche Bahn nicht mehr in mittelständische Aufträge investiert hat, haben wir hier wirklich gut zutun gehabt, haben dann immer mehr kämpfen müssen, was dann aber letztendlich mit der Insolvenz der Fahrzeugtechnik Dessau AG geendet hat. Und ein riesen Schock, was nun wird. Der Insolvenzverwalter hat uns dann an einen rumänischen Eigentümer verkauft und das genau hielt 1 ½ Jahre, war eine ganz, ganz schlimme Zeit für die Mitarbeiter, für die Kunden, für den Standort; was aber letztendlich zur Folge hatte, dass auch das nicht wirklich funktioniert hat, weil es keinen starken Start geben konnte und geben kann; sind dann 2012 an einen Investor aus Fetschau verkauft worden, was auch nicht wirklich lange funktioniert hat, bis es letztendlich wieder zum 3. Mal in der Insolvenz geendet hat und wir eigentlich jetzt nach vorne gucken können mit dem Erwerb der Molinari dieses Standortes; und eigentlich mit diesem Erwerb der Molinari zum ersten Mal auch wieder nach der Wende ganz klar ist, was wir hier wirklich eigentlich sein wollen.
Wollen wir Hersteller sein? Wollen wir Dienstleister sein? Wollen wir alles machen? Hier ist eine ganz klare Linie da. Ja, wir sind Dienstleister und wir sind nicht Hersteller, sondern der Markt ist, so wie er jetzt ist, und da sind Dienstleistungen gefragt für die Großen, da sind Nischen zu besetzen und das macht’s eigentlich jetzt aus.
Kim Kamenik: Und woher haben Sie immer wieder Ihre Motivation genommen, weiter zu machen und weiter zu kämpfen für dieses Unternehmen?
Jörg Werner: Ich hatte das ja vorhin schon mal ganz kurz erwähnt, dass ich ja hier schon in den Waggonbau-Kindergarten gegangen bin und die Verbindung zum Unternehmen – selbst mein Vater hat hier im Unternehmen gearbeitet – mehr als nur ein Job ist, sondern eigentlich auch eine Herzenssache ist, hier zu arbeiten, und das ist Motivation genug, immer wieder Verantwortung zu übernehmen, den Standort hier wirklich zu erhalten und hier wirklich Tolles möglich zu machen, vor allen Dingen auch für die nächste Generation. Meine Kinder sind in einem Alter, wo sie sagen: Ja Mensch, hier bleibt wirklich etwas Bleibendes und mit dieser ganzen Geschichte, die der Standort hat – wir gucken im nächsten Jahr auf 125 Jahre Standort Waggonbau hier in Dessau – ist zumindest jetzt nach 2016 mit der Molinari ein Lichtblick am Ende dieser wirklich schlimmen Zeit nach der Wende und das motiviert mich hier letztendlich auch, Verantwortung zu übernehmen und heute den Vertrieb hier bei Molinari zu leiten.
Kim Kamenik: Worin entwickelt sich der Standort in der Zukunft?
Jörg Werner: Der Standort wird sich in Zukunft in jedem Falle erstmal mit Wachstum beschäftigen müssen und ist auch davon geprägt, mit Wachstum umzugehen. Wir werden völlig neue Märkte erschließen. Wir werden, im Gegensatz zu dem, was die Fahrzeugtechnik gemacht hat, auch internationaler werden. Dazu gibt uns die neue Unternehmenssituation unter der Molinari oder innerhalb der Molinari Gruppe alle Chancen dafür. Wir werden uns in sofern verändern, dass wir auch aus den Lehren der vergangenen Zeit viel mehr regional mit den unterschiedlichsten Unternehmen, mit den Hochschulen, mit dem Bahnstandort Anhalt verbinden. Dazu sind wir Mitglied in einem Technologieverein in Anhalt. Wir sind dabei mit Hochschulen zu sprechen, um letztendlich jungen Leuten in der Zukunft eine Perspektive zu geben, nicht weggehen zu müssen, sondern hier in Dessau in der Region sich einzubringen, um die Waggonbaugeschichte noch viele, viele Jahre fort zu schreiben.